Zunächst einmal erscheint es abwegig, Physik im Kloster zu suchen. Jedoch ist es in der Tat so, dass zum Beispiel die älteste durchgehend bis heute existierende meteorologische Messreihe Österreichs mit Luftdruck und Temperatur nicht etwa in einer Universität ihren Anfang genommen hat, sondern von Patres in einem Kloster aufgezeichnet wurde. Gleiches gilt übrigens auch für die Beobachtung der Sonne und insbesondere von Sonnenflecken. Konkret hatten österreichische kaiserlich und königliche Landkarten vor der Standardisierung auf den Greenwich-Nullmeridian einen Bezugspunkt innerhalb Österreichs. Aus praktischen Gründen musste dies ein Ort sein, an dem auch astronomische Beobachtungen möglich waren, um den lokalen Mittag und somit neben dem örtlichen auch einen zeitlichen Referenzpunkt finden zu können. Konkret war dies in Österreich alles schon seit 1762 in Kremsmünster gegeben. Dortige Archive haben also durchaus einen hohen Wert nicht nur für die Erforschung der langfristigen Variabilität der Sonne, sondern auch für langfristige Veränderungen des Klimas über Jahrhunderte hinweg. So erschien es einer Gruppe des Institutsbereichs für Astro- und Geophysik logisch, Stift Kremsmünster einmal zu besuchen.
Mit den dortigen Wetterdaten lässt sich eindrücklich rekonstruieren, dass im lokalen Klima in Oberösterreich bereits ein Temperaturanstieg von mehr als 2 °C im Jahresmittelwert nachweisbar ist. Mit modernen Wetterstationen vergleichbare Messungen beginnen dort bereits im Jahre 1769. Auch in der Sonnenbeobachtung konnten detaillierte Blicke in die Sonnenflecken-Situation im 18. Jahrhundert bereits zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen, insbesondere konnten Fehler in der Sonnenfleckenrelativzahl (der Anzahl der Sonnenflecken zu einer bestimmten Zeit) korrigiert werden; siehe dazu den Link zu einer Publikation mit Grazer Beteiligung im Literaturverzeichnis. Ebenso helfen Einträge in der Österreichischen Zeitschrift für Meteorologie sogenannte Jahrhundert-Ereignisse bei Sonneneruptionen besser zu verstehen. Beispielsweise wurden im Februar 1872 auffällige Sonnenflecken beobachtet und nur wenige Tage später meldeten Beobachter bis nach Ägypten deutlich sichtbare Polarlichter, die sonst nur in Finnland und nördlich sichtbar wären. Solche Extrem-Ereignisse besser zu verstehen, hilft uns, die moderne Gesellschaft auf Sonneneruptionen vorzubereiten, die diese moderne Gesellschaft noch nicht erlebt hat, die aber durchaus in Archiven im 18. Jahrhundert bereits dokumentiert wurden.
Neben den rein wissenschaftlichen Aspekten, stand bei dieser Exkursion natürlich auch das Staunen über die zahlreichen Kuriositäten des Physikalischen Kabinetts mit auf dem Programm, welche bei Führungen im dortigen Mathematischen Turm auch der Allgemeinheit zugänglich sind. Anfänglich war Physik durchaus zur Erheiterung der feinen Gesellschaft erdacht und finanziert worden… Aber auch die original erhaltene historische Stiftsbibliothek war ein besonderes Erlebnis für die Gruppe aus Graz. Insgesamt war dies eine sehr gelungene Exkursion bei bestem Wetter und mit viel Freude, Geselligkeit und Physik.
Literatur:
- Hayakawa et al. (2020): „Thaddäus Derfflinger's Sunspot Observations during 1802-1824: A Primary Reference to Understand the Dalton Minimum“
in Astrophysical Journal 890/2, 98, DOI: 10.3847/1538-4357/ab65c9
- Hayakawa at al. (2023): „The Extreme Space Weather Event of 1872 February: Sunspots, Magnetic Disturbance, and Auroral Displays“
in Astrophysical Journal 959/1, 23, DOI: 10.3847/1538-4357/acc6cc